Dr. Rudolf Post, Universität Freiburg, Deutsches Seminar I
Proseminar WS 2003/04 "Sondersprachen im Deutschen"

Ergebnisse zur Befragung "Sondersprachen", Freiburger Herbstmesse, 27. 10. 2003

Die Befragung von Schaustellern und Händlern auf der Freiburger Herbstmesse durch die Studentinnen und Studenten ergab, dass bei der überwiegenden Anzahl der Befragten keinerlei Kenntnisse über die Existenz oder über einzelne Elemente einer Sondersprache (Schausteller-, Jahrmarktssprache) vorhanden waren. Als Gründe wurden genannt: 1) Viele Händler oder Schausteller bzw. ihre Gehilfen sind noch nicht lange im Geschäft oder sind Ausländer (z. B. Polen, Rumänen). 2) Die Befragten waren sehr jung und wissen nichts mehr über alte Sondersprachelemente.

Daneben gab es jedoch eine größere Anzahl von Gewährspersonen, denen bekannt war, dass man in früheren Generationen eine Sondersprache gebraucht habe, sie selbst konnten aber keine Wörter dieser Sondersprache mehr nennen. Mehrmals wurde jedoch angegeben, dass man solche Wörter kenne, diese aber aus Gründen der Geheimhaltung nicht nennen wolle. Auch wurde angegeben, dass man selbst nicht zu denen gehöre, die eine solche Sprache sprächen, dass dies aber bei Schaustellern zuträfe, die aus anderen (ethnischen) Gruppen kämen.

Dennoch konnte noch eine ganze Reihe von sondersprachlichem Wortgut erhoben werden, das unten, nach Herkunft gruppiert, genauer dargestellt ist. Die meisten Auskunftgeber ließen erkennen, dass der Gebrauch solcher Wörter als derb, verpönt und sozial deklassierend empfunden wird. Als Eigenbezeichnungen für die Sondersprache der Schausteller wurden Kochum und B-Sprache genannt. Nach der heutigen wissenschaftlichen Terminologie (nach Hartwig Franke: Zur inneren und äußeren Differenzierung deutscher Sondersprachen. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 58. 1991, S. 57-62) ist diese Sondersprache als "Jenisch" zu bezeichnen.

Liste der erhobenen Wörter (gruppiert nach Herkunft)

Nach Lautung und Bedeutung (in der von den Studenten notierten Form) folgt die etymologische Herleitung, abschließend (sofern vorhanden) Nummer und Stichwort der Entsprechung im "Wörterbuch des Rotwelschen" von Siegmund A. Wolf.

1) Wörter aus der hebräisch-aramäischen Komponente des Jüdisch-Deutschen:

Dokes ‚Hintern‘ < jidd. toches ‚Gesäß‘, hebr. tachat ‚das unten Befindliche‘, Wolf 5846: Toches.
Kochum ‚Jahrmarktssprache‘ < jidd. chochem ‚klug, wissend‘, hebr. chācham, Wolf 2814: kochem.
Guje ‚Mädchen‘ < jidd. goje ‚nichtjüdisches Mädchen‘, zu hebr. goi, Wolf 1860: Goje.
Lez ‚Drehorgel‘ < jidd. lezan ‚Musikant‘ (Beziehung zu Klezmer?), Wolf 3221: Lez, Letzer.
Massel-toff ‚viel Glück‘ < jidd. massel ‚Sternbild, Glück‘, hebr. masāl und jidd. tow ‚gut‘, hebr. tōw, Wolf 3435: Masel, 5849 tof.
Platzschäker ‚städt. Platzzuweiser‘, 2. Wortteil vielleicht rotw. Schuker ‚Polzist‘, dies aus dem Jidd., Wolf 5175: Schucker.
schicker ‚betrunken‘ < jidd. schiker ‚betrunken‘, hebr, šikkōr, Wolf 4888: schickern.
Schock ‚Mark (Geldstück)‘ < jidd. schuk ‚Markt, Mark‘, hebr. šūk, Wolf 5109: Schock.
Schockfreier ‚Marktverkäufer‘ < zu Schock s.o. und rotw.-dt. Freier ‚Mann, Bursche‘, Wolf 1536: Freier und 5109: Schockfreier.
Schore ‚Ware‘ < jidd. sechoro ‚Ware‘, hebr. sechōrā, Wolf 5359: Sore.

2) Wörter aus dem Romanes bzw. Sinte-Manusch (Zigeunerisch)
Gari ‚männl. Geschlechtsteil‘ < zig. karo ‚Penis‘, Wolf 1651: Gari.
Gatsch ‚Bauer, Mann‘, Pl. Gatsche/Gasche ‚Leute‘ < zig. gadsio ‚Mann‘, Wolf 1666: Gatscho.
gsnaist ‚gierig‘ < zig. snalano ‚geizig, gierig‘ ???
Lobi (auch Nobi) ‚Geld‘ < zig. love ‚Geld‘, Wolf 3292: Lowo.
Nabelo ‚Schimpfwort‘ < zig. narbulo ‚Narr‘, Wolf 3799: Narwelo.
Rali/Ralo ‚Frau‘ < zig. rakli ‚Mädchen, Magd‘, Wolf 4472: Rakli.
Racklo ‚Gehilfe, Hilfsarbeiter‘ < zig. raklo ‚Bursche‘, Wolf 4472: Raklo.
schucker ‚schön‘ < zig. schuker ‚schön‘ Wolf Wb. der Zigeunersprache 3200: šuker.
tschi ‚nein‘ < zig. tschi ‚nicht‘, Wolf 5942: tschi.

3) Wörter deutscher Herkunft, sondersprachliche Neologismen
Beschicker ‚Schausteller‘ < dt. beschicken ‚einen Markt beschicken‘.
Bodenmühle ‚Kinderkarussell‘.
Fisel ‚Mann‘ < dt.-rotw. Fisel ‚Junge, Bursche‘ zu Fisel ‚Penis‘, Wolf 1388: Fiesel.
Gartenstuhl ‚Kettenkarussell‘.
Lattenhändler ‚(ambulanter) Händler‘ < dt. Latte (übertr. Bauchladen, Marktbude??).
Scheibenwischer ‚modernes Fahrgeschäft, in dem die Leute herumgeschleudert werden‘.

4) Aus dem Romanischen
manschare
‚essen‘ < ital. mangiare, frz. manger ‚essen‘.

5) Ungeklärtes / Unsicheres
figg (Imperat.?) in dem Satz: Figg an der Kasse genug Gatsche ‚Mach schnell, an der Kasse sind viele Leute‘ < zu dt. ficken in der Bed. ‚schnell hin und her bewegen‘? oder verhört zu zig. sik ‚schnell rasch‘ ?; eine Studentin gab an, dass im Indischen fik ‚schnell‘ bedeute, dann aus dem Romani ??
Model ‚Frau‘ < rotwelsch bezeugt, Herkunft ? dt. ? rom.?, Wolf 3648: Model ‚Frau, Mädchen‘.
Russe ‚Riesenrad‘ < Herkunft ??
Schufterei ‚Negatives‘ < zu dt. Schuft ‚Schurke‘, die Beziehung des Wortes zu schuften ‚schwer arbeiten‘ wurde von der Gewährsperson abgelehnt.
Stapuff ‚Boxbude, Schaustellerbude‘, zu Kabuff ?