Dr. Rudolf Post
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semper 'wählerisch im Essen / Fressen'

Im Markgräflerland im Wiesental und besonders im Hotzenwald sowie im angrenzenden schweizerischen Aargau (s. Karte) findet sich für die Eigenschaft 'wählerisch im Essen/Fressen' eine eigenwillige Bezeichnung, nämlich semper, die oft zur Nachfrage nach seiner Herkunft anregt. Der Sinnbereich 'wählerisch beim Essen, heikel, verwöhnt, nicht richtig essen, langsam essen, lustlos im Essen herumstochern, sich das Beste herauspicken' usw. hat in allen Mundarten ein reiches Inventar von oft kleinräumig verbreiteten Bezeichnungen hervorgebracht, von denen im Umfeld von semper etwa schnaikig, näusig, mänkelig, schlezig, meisterlos, schnäderfräßig (natürlich in zahlreichen dialektalen Varianten) zu nennen wären.

semper Unser hier zu betrachtendes Wort semper begegnet uns schon in im Jahr 1540 bei dem Züricher Autor Heinrich Bullinger, der es auf verzärtelte, empfindliche weibliche Personen bezieht die uf der gassen ... semper umherschlirplen (zit. nach Schweiz. Wb. 7, 990, s. u.). Ein weiterer früher Beleg findet sich in dem 1784 erschienenen 2. Band des "Glossarium Germanicum medii aevi" von Scherz-Oberlin, mit einem Beleg aus Straßburg (s. unten bei Deutsches Wörterbuch). Bei Johann Peter Hebel heißt es im Gedicht "Geisterbesuch auf dem Feldberg": Und dört wachst kei Gras, dört wachse numme Rosinli, / het er g'seit, und Milch und Honig rieslen in Bäche, / aber 's Vieh isch semper, 's will alli Morge si Gras ha (Hebel, Alemannische Gedichte, erste Aufl. 1803). Aber auch bei anderen Mundartautoren des oben genannten Raumes finden wir Belege, so bei Hermann Burte (1870-1960): Er (der Gaul) isch halt uding semper (Burte Madlee, 1923, S. 157). Und auch bei Gerhard Jung (1926-1998) lesen wir: bloß nit semper un verdruckt sii (Jung, Schmecksch de Brägel, 1966, S. 135). Auch in Abhandlungen zu den Mundarten des Markgräflerlandes und des Wiesentals (sämbər Beck 229, sämbər Glattes 25, semper Meisinger VW. 37, Des isch en sämpere Chaib Schäuble/Wehr 64) finden sich Belege. Die Verbreitung in der Schweiz kann nach Wortkarte VIII 28 des Schweizerdeutschen Sprachatlasses eingesehen werden. Dort ist jedoch nur "wählerisch beim Fressen des Viehs" kartiert.

In den Dorfmundarten ist das Wort heute immer noch gut bezeugt (Varianten: semper, sempr, sember, sembr, sämper, sämpr, sämber, sämbr, samber, sambr, samper, sampr). Es wird dort besonders auf das Vieh angewandt und es gibt dazu auch vereinzelt Ableitungen wie semperig, sempern und dann die Bildung der Semper oder Semperer, womit ein eigenes Krankheitsbild bezeichnet wird, wenn das Vieh nicht richtig fressen will und dann Mangelerscheinungen zeigt. Angeblich soll dies eine Kobalt-Mangelkrankheit sein.

Ausgehend von der Grundbedeutung 'wählerisch beim Essen' finden sich dann Bedeutungsverschiebungen in Richtung 'empfindsam, eigenartig', so Gerhard Jung in dem oben angeführten Zitat. Aus Freiburg wird aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sämber 'wortkarg' und 1921 e Zemberer 'ein Eingebildeter, Hochmütiger' gemeldet.

Wie ist nun die Herkunft dieses Wortes zu deuten? Auf jeden Fall ist wohl das in alten Quellen belegte Rechtswort semper, semperfrei u. ä. fernzuhalten. Dies gehört zu mhd. sendbaere, eine Bildung zu send 'Gerichtsversammlung' < lat. synodus und hat mit unserem Wort wohl nur die Lautung gemein. Das Deutsche Wörterbuch deutet semper 'wählerisch' als Nebenform zu zimper, zimperlich 'empfindlich, wehleidig'. Auch die Redaktoren des Schweizerdeutschen Wörterbuchs schließen sich dieser Deutung an und weisen darauf hin, dass das Wort auch im Nordischen dialektal erhalten sei und auch in engl. simper 'geziert lächeln' seine Entsprechung habe.

Für unser Gebiet ist jedoch schwer nachzuvollziehen, wie diese Beziehungen zu den nordischen bzw. angelsächsischen Belegen aussehen könnten, denn hier wäre lautgesetzlich dann sempfer zu erwarten. Außerdem gibt es in unserem Gebiet von semper ebenfalls das Adjektiv zimpfer 'zart, empfindsam, zimperlich' und es erscheint hier doch schwer, das Nebeneinander dieser verschiedenen Formen lautgesetzlich zu erklären. Sollte es sich um ein Relikt handeln, an dem alle oberdeutschen Sprachentwicklungen vorbeigingen? Kaum. Handelt es sich um ein verdunkeltes Kompositum? Offene Fragen. Als Schlussfolgerung ergibt sich für mich, dass das Wort in seiner Herkunft noch nicht eindeutig geklärt ist.


Zur Vertiefung und Überprüfung meiner Abhandlung über semper, sind im Folgenden alle Wortartikel aus den einschlägigen Wörterbüchern angeführt, die etwas über unser Wort dokumentieren. Sie wurden von Anna Herb aus den Wörterbüchern übernommen - herzlichen Dank!

(Bestimmte Sonderzeichen aus den Originalen, können im Folgenden u. U. nicht dargestellt werden).

Deutsches Wörterbuch X 1, 569:
SEMPER, adj. alemannisch wählerisch in bezug auf speisen, worte, mittel Stalder 2, 370, delicat (von personen), verzärtelt, zimperlich Hunziker 239, eine sempere frau, Argentorati femina affectans vestium aut morum elegantiam. Scherz-Oberlin 1484, aber auch nd. Schütze 4, 96. nebenform zu zimper, zimperlich, s. diese unten. auch das bei Schm.2 2, 285 aus Kitzbühel bezeugte semperig, unpäszlich gehört wol in diesen zusammenhang. vgl. das erste sempern, verb.

Schwäbisches Wörterbuch V, 1360:
semper II Adj.: Viel gesünder, Net so s. Hd Guss./Thierer 1, 271. — Gewiss wie Swz. 7, 990 launisch, heikel. < sonderbar?
Schweizerisches Wörterbuch VII, 990:
sämper, semper I, lt. St.2 "simper, simber Aa": a) delikat, verzärtelt, zimperlich AaLeer. So in der ä. Spr. von Zierpuppen. ‚Eerlicher ist es dir, man finde dich dapfer und fruotig an der arbeit stan, dann am tanz herumbhupfen oder uff der gassen äben ussgestrichen, semper, umherschlirplen.‘ HBull. 1540. Empfindlich, von weiblichen Personen, aber auch von Zierpflanzen (gegen Frost) und Gewebe (gegen Entfärbung) SchSchl. Sëlb ist en semperi Töchter. S. auch chatzenrein (Bd. VI 991). — b) wählerisch im Essen, auch Trinken "Aa" Fri., Zein.; BsL (so Rothenfluh); UwE.; "U", im Arbeiten UwE., "fein prüfend in der Wahl der Wörter, deren man sich in der Conversation bedient, oder in der Wahl der Mittel zu einem vorgesteckten Zweck Aa; LG., W."; ‚auswählerisch, aussucherisch, wunderlich‘ BsL., übh. ‚schwer zu befriedigen‘ UwE., "launisch, von einem Menschen, mit dem man nicht wohl zurechtkommen kann oder der öfters selbst nicht weiss, was er will UwE."
Vgl. ‚semper‘ bei Gr. WB X 1, 569; dazu semper (in Bed. b) bei Hebel, ferner nord. dial. simper, semper (in Bed. a und b), engl. simper, geziert lächeln; nächst verwandt mit zimper (s. d.). Auch die vor. Gruppe gehört in den selben etym. Zshang
Badisches Wörterbuch
noch nicht publiziert, die Belege für den Wortartikel finden sich jedoch im Wesentlichen im obigen Einführungstext.

Freiburg 2003
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